Kleider richten, Haltung zeigen – Warum Führung keine Mülltonne ist

Ordnet euer Mindset!

Neulich auf der Toilette in einem barocken Hotel in Weimar gelesen: „Vor dem Heraustreten sind die Kleider zu ordnen!“ Wie genial ist das bitte? Ich dachte sofort: Das gehört nicht nur an WC-Türen – das gehört in Groß an den Eingang mancher Unternehmen. Groß. Leuchtend. Vielleicht sogar mit einem Gong. 

Warum? Weil genau das so oft fehlt: ein kurzes Innehalten, ein Sich-Zusammennehmen, bevor man in den gemeinsamen Raum tritt, ob als Mitarbeitende, Führungskraft oder Geschäftsleitung. Ein kleines mentales „Kleiderordnen“, bevor wir reingehen. Denn was draußen war, ist draußen und drinnen arbeiten wir zusammen. Eigentlich eine einfache Sache. Und trotzdem passiert das erstaunlich selten.


Führung oder Kummerkasten?


Ich habe in den letzten Jahren viele Gespräche mit Führungskräften geführt. Und eine Aussage höre ich immer wieder in Variationen:

„Ich bin hier die emotionale Mülltonne für alles.“

Wenn der Hamster von Kollegin Müller eine Achillessehnenentzündung hat, wenn der Drucker pfeift, wenn die Tochter vom Kollegen Liebherr Stress in der Schule hat – wer hört es sich an? Richtig. Die Führungskraft.

Und bevor jetzt jemand sagt: „Aber wir sind doch alle Menschen, man muss sich doch auch mal mitteilen dürfen!“ – Ja, natürlich. Menschlichkeit ist wichtig. Aber Menschlichkeit ist nicht gleich emotionale Ungefiltertheit. Und Miteinander ist nicht gleich wahlloses Abladen.

Der Unterschied liegt im bewussten Umgang miteinander. In der Entscheidung, ob ich jetzt gerade Kolleg*in oder Kummerkasten bin. Und in der Haltung, mit der ich einen Raum betrete.

Außerdem kann es doch nicht sein, dass ich mich nur über Negatives und Belastendes austausche. Wir alle kennen die Aussage „von der Seele reden“, aber muss das wirklich immer im beruflichen Kontext passieren? Oder wäre ein Freundeskreis dafür nicht wesentlich geeigneter?


Toilettenweisheit fürs Business


Zurück zum Schild. „Vor dem Heraustreten sind die Kleider zu ordnen!“ Da steckt mehr drin, als man auf den ersten Blick denkt.

Es geht um Haltung, um Bewusstheit, um eine Form von innerer Vorbereitung. Nicht im Sinne von „Verstellen" oder „Maske aufsetzen", sondern im Sinne von: Ich entscheide bewusst, wie ich mich in einem gemeinsamen Arbeitskontext zeige. Und wie ich mit anderen umgehe.

In einer Zeit, in der wir ständig über Authentizität reden, vergessen wir manchmal: Auch Authentizität braucht eine Form. Auch sie hat Grenzen. Es ist schön, wenn ich mich zeigen darf; aber bitte nicht auf Kosten anderer. Authentisch zu sein heißt nicht, dass ich alles jederzeit raushaue, was mir gerade durch den Kopf oder den Magen geht.

Respekt als Mindset


Der Wunsch nach der „arschlochfreien“ Zone


Stell dir vor, an der Eingangstür deines Unternehmens hinge ein zweites Schild:

„Bitte professionelles Mindset anziehen!“

Wie sähe dein Tag dann aus?

Würdest du den Groll vom Morgenmeeting auch noch nachmittags mit herumschleppen? Würdest du deinem Kollegen beim Kaffeeautomaten ungefragt dein ganzes Wochenende aufdrücken, inklusive Rückenschmerzen, Kinderärger und Steuerfrust? Würdest du die Kollegin, die neu ist, direkt mit deinen zehn Verbesserungsvorschlägen überschütten, bevor du überhaupt weißt, wie sie tickt?

Wahrscheinlich nicht.

Vielleicht würdest du kurz durchatmen. Vielleicht würdest du dir überlegen: Was möchte ich heute beitragen? Und wie möchte ich mit anderen umgehen? Was ist meine Rolle hier, und wie kann ich sie mit Klarheit, Respekt und vielleicht auch ein bisschen Leichtigkeit leben?


Warum Professionalität Herzlichkeit erst möglich macht


Jetzt bitte keine Sorge: Das Ganze heißt nicht, dass wir zu Büro-Robotern mutieren sollen. Professionalität bedeutet nicht, dass wir keine Gefühle zeigen dürfen oder alles steril wird. Im Gegenteil. Eine gesunde, professionelle Kultur schafft gerade den Raum, in dem auch echte Menschlichkeit Platz hat. Nur eben in einem sicheren, respektvollen Rahmen. 

Wenn ich weiß, dass mein Gegenüber professionell handelt, kann ich mich öffnen, ohne Angst vor Grenzverletzungen oder emotionalem Missbrauch. Und ich kann sicher sein: Wenn ich heute einen schwachen Moment habe, wird er aufgefangen – aber nicht ausgeschlachtet. 


Eine kleine Einladung zur Selbstführung


Vielleicht denkst du beim nächsten Toilettenbesuch auch an dieses Schild. Und an die Frage: Wie betrete ich eigentlich meinen Arbeitsalltag? 

Vielleicht stellst du dir morgens vor, wie du dir nicht nur deine Jacke anziehst, sondern auch dein Mindset, bewusst, klar, respektvoll. 

Und vielleicht, nur vielleicht, hängen wir irgendwann wirklich solche Schilder an unsere Türen. Oder noch besser: Wir brauchen sie nicht mehr, weil alle verstanden haben, worum es eigentlich geht. 

Nämlich darum, gemeinsam zu arbeiten, nicht gegeneinander. Mit Haltung. Mit Humor. Und mit einem ordentlichen Maß an Menschlichkeit. Aber eben einer, die alle mitträgt, und nicht nur die Führungskraft. 


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