Oder steckt in Wahrheit Eisenmangel dahinter?
In meinen Seminaren für Führungskräfte und Mitarbeitende gibt es kaum noch eine Runde, in der nicht jemand das Wort „Burn-out“ in den Mund nimmt. „Ich kann nicht mehr.“ „Mein Team ist völlig ausgebrannt.“ „Erschöpfung ist bei uns gerade ein Riesenthema.“
Und ehrlich: Ich nehme das nicht nur wegen eigener Erfahrungen ernst. Stress, Überlastung, fehlende Pausen – das sind reale Probleme, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit massiv gefährden können.
In meinen Trainings und Coachings, ob mit Teams oder Führungsebenen, arbeiten wir extrem viel mit dem Managen unserer Stärken, den Auswirkungen von Belohnung, der Aktivierung von natürlicher Motivation und eben dem Management des Energiehaushalts.
Aber je länger ich mich beruflich mit diesem Thema befasse, desto mehr wird die Komplexität sichtbar. Und ohne das Thema Überforderung bzw. vor allem Erschöpfung herunterzuspielen, teile ich heute eine extrem spannende Erfahrung, die wir dieses Jahr mehrfach gemacht haben: Eisenmangel.
Burn-out: eine Diagnose ohne feste Konturen
Burn-out ist keine klar definierte Krankheit. In der internationalen Klassifikation ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation wird es nur als „arbeitsbezogenes Stress-Phänomen“ beschrieben. Keine Krankheit, keine handfeste Diagnose – eher ein Sammelbegriff für Erschöpfungszustände und mangelnden Antrieb.
In der Praxis bedeutet das: Ärzt:innen stellen Burn-out meist ausschlussdiagnostisch, also wenn andere Ursachen nicht greifen. In Deutschland gibt es keine S3-Leitlinie für Burn-out. Ärzt:innen orientieren sich an der DEGAM-Leitlinie „Müdigkeit“. Dort ist ein Basislabor vorgesehen (Blutbild, Schilddrüse, Leber und Nieren) – aber Ferritin, der Speicherwert für Eisen, nicht.
Und das ist kein deutsches Phänomen:
- Die American Academy of Family Physicians empfiehlt Eisenwerte nur bei Verdacht.
- Auch die NICE-Guidelines in Großbritannien sehen keine Routine-Bestimmung vor.
Mit anderen Worten: International gehört Eisenmangel nicht zum Standard, wenn Patient:innen mit Erschöpfungssymptomen in die Praxis kommen.
Eisenmangel als unterschätztes „Frauenthema“
Tatsächlich gilt Eisenmangel in der öffentlichen Wahrnehmung als „Frauenproblem“. Und ja, statistisch stimmt das zum Teil.
- Frauen verlieren durch die Menstruation regelmäßig Blut.
- In Schwangerschaft und Stillzeit steigt der Bedarf stark an.
- Vegetarische oder vegane Ernährung, bei Frauen häufiger vertreten, trägt ebenfalls dazu bei.
Doch: Eisenmangel ist kein reines Frauenthema.
Weil Eisenmangel so eng mit „Frauenthema“ assoziiert wird, denken viele Ärzt:innen bei Männern nicht daran, den Eisenstatus zu überprüfen. Erst bei schwerwiegenderem Verdacht wie beispielsweise Blut im Stuhl wird auch der Ferritinwert überprüft.
Warum also kamen in unserem Umfeld zufällig die Diagnosen Eisenmangel auf? Ein Blick auf die Symptomliste verrät es.
Burn-out-Symptome oder Eisenmangel-Symptome?
Die Überschneidung der Symptome ist frappierend. Ich teile mal, was meine Teilnehmenden im Coaching oft berichten – und was ich ebenso in der Fachliteratur zu Eisenmangel finde:
- Dauernde Müdigkeit und Abgeschlagenheit
- Konzentrationsschwäche („Mein Kopf ist wie in Watte.“)
- Verminderte Belastbarkeit („Ich kann einfach nicht mehr so viel leisten wie früher.“)
- Antriebslosigkeit, depressive Verstimmung
Das klingt nach Burn-out.
Das klingt aber auch nach Eisenmangel.
Und Studien belegen: Schon Frauen ohne Anämie, aber mit niedrigen Eisenwerten, fühlen sich nach Substitution messbar fitter (Verdon et al., 2003; Vaucher et al., 2012). So senkte eine Schweizer Studie die Erschöpfungsskala bei Frauen mit Ferritinwerten unter 50 µg/L signifikant – im Vergleich zur Placebogruppe (Verdon et al., BMJ, 2003). Auch die große PREFER-Studie zeigte: Eine einmalige Eiseninfusion verbesserte die Fatigue bei 65 % der Frauen deutlich (Favrat et al., PLoS One, 2014).
Und die Männer? Außen vor.
Der Blick in die Biochemie: Warum Eisen so entscheidend ist
Eisen ist nicht nur ein Bestandteil unseres Blutes, es ist ein zentraler Baustein unseres Immun- und Energiesystems.
Es wird benötigt für:
- die Mitochondrien, unsere zellulären „Kraftwerke“
- die Bildung von Dopamin und Serotonin (Stimmung, Motivation)
- die Myelinisierung von Nervenzellen (Konzentration, kognitive Leistung)
Ein Mangel führt also zwangsläufig zu Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche und schneller Erschöpfung – genau jene Symptome, die wir oft vorschnell als „Burn-out“ interpretieren (Beard & Connor, Annual Review of Nutrition, 2003).
Stress frisst Eisen – ein spannender Forschungsansatz
Noch interessanter finde ich eine andere Perspektive, die ich bei der Literaturrecherche entdeckt habe: Stress selbst könnte den Eisenstoffwechsel stören.
Forschende vermuten, dass Stress über die Aktivierung der HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse) und entzündliche Signalstoffe wie IL-6 die Produktion des Hormons Hepcidin steigert. Dieses blockiert die Eisenaufnahme im Darm und verhindert, dass gespeichertes Eisen wieder freigesetzt wird (Ganz & Nemeth, Nature Reviews Immunology, 2012).
Tierstudien stützen diese Hypothese: Bei chronisch gestressten Mäusen sank die Eisenkonzentration im Blut deutlich, während die Leber-Eisenspeicher schrumpften (Liu et al., Biological Trace Element Research, 2022). In einem Experiment mit „sozialem Stress“ war die Blutbildung sogar messbar beeinträchtigt (Ghosh et al., Translational Psychiatry, 2024).
Noch ist dieser Mechanismus beim Menschen nicht abschließend belegt – aber er ist plausibel. Dauerstress könnte also nicht nur Folge, sondern auch Verstärker eines Eisenmangels sein.
Was die Forschung zu Burn-out und Eisen konkret sagt
Eine Studie an amerikanischen College-Athlet:innen (Hew-Butler et al., Endocrines, 2021) untersuchte erstmals direkt den Zusammenhang zwischen Ferritinwerten und Burn-out-Symptomen. Das Ergebnis:
Nur bei männlichen Athleten zeigte sich ein schwacher, aber signifikanter Zusammenhang zwischen höheren Ferritinwerten und stärkerer emotionaler Erschöpfung. Die Stichprobe war jedoch klein und nicht kontrolliert, ein erster Hinweis, keine Schlussfolgerung.
Die restliche Studienlage ist klarer, aber indirekt:
Eisenmangel verursacht Fatigue, und Eisenpräparate können diese deutlich lindern. Ob das auch für Burn-out gilt, ist unklar. Ein großer Blutspender:innen-RCT (Keller et al., Scientific Reports, 2020) fand etwa keinen Unterschied in der Erschöpfung nach Eiseninfusion.
Das Fazit aus medizinischer Sicht lautet also: Eisenmangel kann Burn-out nicht verursachen. Aber er kann die Symptome verstärken oder imitieren.
Was das in meinem Alltag bedeutet
In meinen Trainings und Coachings sehe ich Menschen, die sich ausgelaugt fühlen. Viele suchen nach psychischen Ursachen, nach Coaching, nach Entlastung. Und das ist wichtig.
Aber ich frage mich immer öfter: Wie viele von ihnen laufen seit Monaten mit einem unerkannten Eisenmangel herum? Und wenn wir an dem Punkt angekommen sind, dass wir offensichtlich etwas in unserem Leben ändern müssen, dann wäre es sehr hilfreich auch über die notwendige Energie zu verfügen.
Denn wenn das die Ursache ist, bringt die beste Burn-out-Klinik nichts. Dann braucht es schlicht einen simplen Bluttest – und die passende Therapie. Dass eine Eiseninfusion Wunder wirkt, konnten einige Menschen aus meinem Umfeld direkt spüren.
Fazit: Mein Apell an alle, die sich betroffen fühlen
Burn-out ist real, und wir müssen ihn ernst nehmen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Eisenmangel kann genauso aussehen – und ist behandelbar.
- Bei Männern denkt kaum jemand daran.
- Bei Frauen wird es oft verharmlost.
- In den Leitlinien taucht Ferritin kaum auf.
Das ist ein blinder Fleck.
Darum sage ich in meinen Trainings und Coachings immer öfter: Wenn du dich ausgebrannt fühlst, sprich nicht nur über Stress. Frag deine Ärztin oder deinen Arzt auch nach deinem Eisenstatus.
Quellen
Arshad, A., Arshad, S., Rehman, R., & Arshad, M. (2023). „Psychiatric manifestations of iron deficiency anemia – A narrative review.“ Cureus, 15(9), e44957. https://doi.org/10.7759/cureus.44957
Beard, J. L., & Connor, J. R. (2003). „Iron status and neural functioning.“ Annual Review of Nutrition, 23, 41–58. https://doi.org/10.1146/annurev.nutr.23.020102.075739
Camaschella, C. (2015). „Iron-deficiency anemia.“ New England Journal of Medicine, 372(19), 1832–1843. https://doi.org/10.1056/NEJMra1401038
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). (2022–2027). „Leitlinie Müdigkeit“ (Version 5.0; AWMF-Register Nr. 053-002). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-002.html
Favrat, B., Balck, K., Breymann, C., Hedenus, M., Keller, T., Mezzacasa, A., & Gasche, C. (2014). „Evaluation of a single dose of ferric carboxymaltose in fatigued, iron-deficient women (PREFER study).“ PLOS One, 9(4), e94217. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0094217
Ganz, T., & Nemeth, E. (2012). „Hepcidin and iron homeostasis in health and disease.“ Nature Reviews Immunology, 12(8), 509–517. https://doi.org/10.1038/nri3210
Ghosh, A., Roy, S., & Lee, M. Y. (2024). „Social defeat stress impairs systemic iron metabolism.“ Translational Psychiatry, 14(1), 92. https://doi.org/10.1038/s41398-024-02871-1
Hew-Butler, T., Aprik, C., Byrd, B., Landis-Piwowar, K., Smith-Hale, V., VanSumeren, M., Sabourin, J., Byrd, G., & Martin, J. (2021). „Paradoxical relationships between serum 25(OH)D and ferritin with body composition and burnout: Variation by sex and sports team.“ Endocrines, 2(3), 320–333. https://doi.org/10.3390/endocrines2030023
Keller, P., von Känel, R., Hincapié, C. A., da Costa, B. R., Jüni, P., Erlanger, T. E., Andina, N., Niederhauser, C., Lämmle, B., & Fontana, S. (2020). „The effects of intravenous iron supplementation on fatigue and general health in non-anemic blood donors with iron deficiency: A randomized placebo-controlled superiority trial.“ Scientific Reports, 10, 14219. https://doi.org/10.1038/s41598-020-71048-0
Krayenbuehl, P.-A., Battegay, E., Breymann, C., Furrer, J., & Schulthess, G. (2011). „Intravenous iron for the treatment of fatigue in nonanemic, premenopausal women with low serum ferritin concentration.“ Blood, 118(12), 3222–3227. https://doi.org/10.1182/blood-2011-03-340232
Liu, Q., Wang, L., Xu, Z., & Zhao, J. (2022). „Chronic psychological stress alters systemic iron metabolism in mice.“ Biological Trace Element Research, 200(6), 2837–2848. https://doi.org/10.1007/s12011-022-03269-5
Shanafelt, T. D., & Dyrbye, L. N. (2024). „Burnout, depression, and diminished well-being among physicians.“ New England Journal of Medicine, 390(17), 1341–1353. https://doi.org/10.1056/NEJMra1809988
Vaucher, P., Druais, P. L., Waldvogel, S., & Favrat, B. (2012). „Effect of iron supplementation on fatigue in nonanemic menstruating women with low ferritin: A randomized controlled trial.“ CMAJ, 184(11), 1247–1254. https://doi.org/10.1503/cmaj.110950
Verdon, F., Burnand, B., Stubi, C.-L. F., Bonard, C., Graff, M., Michaud, A., & Favrat, B. (2003). „Iron supplementation for unexplained fatigue in non-anaemic women: Double blind randomised placebo controlled trial.“ BMJ, 326(7399), 1124. https://doi.org/10.1136/bmj.326.7399.1124